Jürgen Gensrich

Jürgen Gensrich (1944-1992)

"Macht bloß keinen Wind um mich"
Jürgen Gensrich (1980er Jahre)

Protagonist
JÜRGEN GENSRICH
Knochenbrecher mit Herz

Nahezu jeder der noch lebenden ehemaligen Guards der German Security Unit (GSU) kannte seinen Namen und sein Gesicht: Jürgen Gensrich, eine Art Urgestein der Truppe.

Er galt als Knochenbrecher, knallharter Typ und für die meisten auch als eine der größten Respektpersonen der GSU. Der langjährige Ausbilder passte in seine Uniform, als wäre jedes einzelne Teil maßgeschneidert gewesen. Er füllte einen Raum, wenn er ihn betrat und strahlte eine überwältigende Autorität aus, die nicht selten eine respektvolle Stille hervorrief.

Und wenn auch jeder ihn kannte, so wusste niemand Genaueres über ihn. Über seine Herzlichkeit, seine unheimliche Gabe der Unterhaltung und ein großes Geheimnis, das er schließlich mit ins Grab nahm. Mehr noch: wer seine Erinnerungen an ihn schweifen lässt, wird sich vielleicht auch an so manche traurige oder fast ängstliche Blicke erinnern, die ihn für Außenstehende eher als unnahbar erscheinen ließen. Sie irrten.

Die letzten Verwandten von Jürgen Gensrich gaben GSU History einen einmaligen Einblick in das kurze Leben eines großartigen Menschen.
Das ehemals schlesische Leobschütz, Heimat von Jürgen Gensrich

Schicksal Flüchtling

Traurigkeit in den Augen eines Jürgen Gensrich? Das Leben eines inmitten der Schrecken des Zweiten Weltkrieges Geborenen bot sicherlich in vielerlei Hinsicht Anlass für Traurigkeit.

Genau fünf Jahre und 15 Tage wütete der Krieg bereits in Europa, als Jürgen Gensrich im September 1944 im oberschlesischen Leobschütz geboren wurde, und wie die meisten anderen Familien auch, herrschte bei den Gensrichs keinerlei Wohlstand.

Es war die Heimat seiner Mutter. Die Gensrichs wohnten auf dem ärmlichen Hof der bereits schwer kranken Großeltern, die beide früh starben. Gensrichs Mutter Irene war Hausfrau, sein Vater Heinz-Dieter in der Landwirtschaft tätig. Doch 1944 war er Soldat.

Militärisch betrachtet war es die Epoche der sich abzeichnenden Niederlage Nazi-Deutschlands. Adolf Hitler agierte immer fanatischer und mobilisierte in der zweiten Jahreshälfte 1944 die letzten Kräfte. Mit der durch Joseph Goebbels gesteuerten Propaganda des „Glaubens an den Endsieg“ verbreitete er Angst und Schrecken.
Im Geburtsmonat Jürgen Gensrichs wurde der »Volkssturm« ins Leben gerufen, um auch noch die letzten Jugendlichen und Männer, die aufgrund ihres Lebensalters eigentlich nicht einsetzbar waren, an die Waffen zu rufen. Sie waren militärisch kaum von Nutzen, schlecht oder gar nicht ausgebildet und zeichneten sich überwiegend nur durch einen Umstand aus: massive Verluste.

Bereits seit 1943 legten bis zu 1.000 Flugzeuge der Alliierten die Großstädte des Deutschen Reiches in Schutt und Asche. Vor allem die US-Amerikaner und die Briten lösten sich hier taktisch ab. Auch die Alpenregion gehörte zu den Zielen der Alliierten. Gerade hier schließt sich der Kreis zu einem anderen Protagonisten der späteren German Security Unit: Johannes Gohl, der als Major vor allem gegen die Briten kämpfte.

Der bevorstehende Winter 1944/45 sollte schließlich zum letzten verzweifelten Versuch Hitlers führen, den nicht aufzuhaltenden alliierten Vormarsch zu stoppen. Die sogenannte »Ardennen-Offensive« scheiterte aber und verzögerte den Angriff der Westalliierten nur um sechs Wochen.

Die Nazi-Schergen bedienten die Wahnvorstellungen eines Diktators, während das Volk in großen Teilen nur eines kannte: Armut. Eine solche herrschte auch bei der Familie Gensrich. Mehr noch: nicht nur der Umstand, dass der Krieg das gesamte gesellschaftliche Leben aus den Bahnen warf, so zerbrach die Familie des späteren GSU-Offiziers schließlich, denn die elterliche Ehe scheiterte.

Heinz-Dieter und Irene Gensrich hatten insgesamt drei Söhne: Den Erstgeborenen Dietmar (*1940), den zweitältesten Sohn Rainer, der 1942 geboren wurde, und schließlich Jürgen.

Der Soldat ließ sich von seiner Frau Irene scheiden, doch Irene Gensrich war eine taffe Frau und behielt, auch wenn es ohnehin damals nicht unüblich war, die Kinder bei sich. Sie galten nach Kriegsende als Flüchtlingsfamilie und mussten Schlesien verlassen. Der Vater blieb zunächst aus Angst vor den Siegermächten. Die Mutter zog nach Kriegsende 1945 mit den Kindern in das oberbayerische Burggen bei Schongau. Die Gemeinde wird nunmehr für viele Jahre zum Lebensmittelpunkt der Gensrichs – für einen Teil sogar bis heute.
In Burggen wird Jürgen Gensrich schließlich auch eingeschult. Er besucht zunächst die Grundschule, später die Volksschule.

Über seinen eigentlichen Berufswunsch ist zurzeit nichts bekannt. Allerdings besucht er später die Berufsschule in Schongau. Dieser Abschnitt ist insoweit relevant, da er sich zum ersten Mal verliebt und um eine ältere Schulkameradin wirbt, der er mehrfach in den Pausen begegnet war. Es entwickelt sich eine gegenseitige Freundschaft, doch das Herz von Gertrud gehört einem anderen Mann: Rainer Gensrich, Jürgens Bruder.

„Wir haben sehr geflirtet“, erinnert sich die inzwischen betagte Frau. „Jürgen war ein sehr gut aussehender junger Mann, doch ich verliebte mich in seinen Bruder. Das hat Jürgen auch akzeptiert. Verstanden haben wir uns bis zum Schluss“, sagt Gertrud.

Jürgen verliebt sich noch oft und war nach der Berufsschulzeit zunächst als Tankwart, später als Möbelverkäufer tätig.
Als er den Bescheid zur Musterung bei der Bundeswehr erhält, meldet er sich zum Ersatzdienst beim Bundesgrenzschutz und zog nach Koblenz. Auch sein Bruder Joachim ist inzwischen Polizeibeamter geworden.

Zuvor hat er erfahren, dass sein Vater Heinz-Dieter ein weiteres Mal geheiratet hat und aus dieser Ehe ein Sohn hervorgegangen ist. Ein Halbbruder, den Jürgen nie kennenlernen wird. „Er hat einmal erzählt, dass er sich aus Neugier die neue Frau seines Vaters aus der Ferne angesehen hat. Er sprach sie aber nicht an“, erinnert sich Schwägerin Gertrud.
Heinz-Dieter Gensrich war jedoch kein langes neues Liebesglück vergönnt. Eine schwere Lungenkrankheit machte ihm zu schaffen, schließlich stirbt er mit nur 52 Jahren.

Die Zeit beim Bundesgrenzschutz hat Jürgen Gensrich gefallen. Er verlängerte seinen Dienst freiwillig, und regelmäßig besuchte er seine Familie, vor allem die Brüder.

„Jürgen war ein fröhlicher und lebenslustiger Mensch, und er hatte vor allem bei den Familienfeiern einen großen Vorteil: er tanzte gerne und gut. Während die anderen Männer wenig Energie zeigten, war er stets die Stimmungskanone bei unseren Feiern. Er tanzte, lachte, war einfach froh und glücklich“, erinnert sich Getrud. Zu manchen Partys brachte er seine Freundin mit, meistens kam er aber allein. Diese Feststellung wird sich auch mit den meisten GSU-Fotos decken, auf denen Jürgen Gensrich zu sehen ist. Fröhlich und stimmungsmachend.
Gensrich (Reihe, 2.v.l.) Anfang der 1980er Jahre

Von der einen Uniform in die andere

Bislang nicht überliefert ist, wann genau er seinen Dienst Anfang der 1970er Jahre beim Bundesgrenzschutz quittiert. Aus Kreisen der Familie heißt es, dass es ihm inzwischen auch in Koblenz zu dörflich und eng geworden ist und er unbedingt in eine Großstadt wollte, am liebsten nach Berlin.

Seinen Plan setzte er schließlich um. Jürgen Gensrich bezieht eine Wohnung in der Kalckreuthstraße im Berliner Bezirk Schöneberg.
Die Polizeiuniform gab er vor allem deshalb ab, weil es in Berlin aus rechtlichen Gründen keinen Bundesgrenzschutz (BGS) gab. Doch die Jobsuche dauerte nicht lange, denn bald wurde er auf eine Annonce der Britischen Streitkräfte aufmerksam, die für ihre deutsche Wachpolizei Diensthundeführer suchten.

Für den leidenschaftliche Hundefreund die große Chance. Er hatte selbst einen Schäferhund, bei dem es sich nach Angaben der Familie um einen pensionierten Polizeihund gehandelt haben soll. Ob er »Bruno« vom BGS übernommen und einst selbst geführt hat, ist ebenfalls nicht mehr festzustellen. Die Namensgleichheit mit einem GSU-Diensthund ist allerdings reiner Zufall.

Schließlich empfing er seine neue Uniform: die der damaligen German Service Unit.

Von Robert Rühe ausgebildet, durchlief Gensrich den Rekrutendrill in Spandau. Letztlich wurde aber deutlich, dass es an dem Ex-BGS-Mann nur wenig auszubilden gab. Eine klare Win-Win-Situation.

Zeitzeuge Heinz Radtke, von 1968 bis 1988 stellvertretender GSU-Leiter und Chef der Wachabteilung, erinnerte sich gut an Jürgen Gensrich. „Der Mann war einfach drahtig, verdammt gut ausgebildet, außerordentlich korrekt und strahlte alles aus, was einen guten Wachpolizisten und Soldaten ausmachte“.

Hundeführer wurde er allerdings bei der GSU nie. Der Grund war simpel: Schließlich hätte er nach wenigen Beförderungen das Tier wieder abgeben müssen, denn der höchste Rang eines Hundeführers war der des Senior Security Guards. Diesen Rang hat er tatsächlich bereits nach einigen Monaten im Wachdienst erreicht.
Genfenbergstraße in Berlin: Letzter Wohnsitz von Gensrich ab 1980
Mitte der 1970er Jahre trat die Dienststellenleitung um Wolfgang Schiller und  Heinz Radtke an Gensrich heran. Sie betrauten ihm mit einem besonderen Vorhaben.

Die Residenz des britischen Stadtkommandanten im Spandauer Ortsteil Gatow, die Villa Lemm, stand unter Schutz der Berliner Wachpolizei.

Doch die Briten waren wenig zufrieden, und schließlich kam es zu einer ungerechtfertigten Schussabgabe, die den damaligen Hausherren, Generalmajor David Scott-Barrett, zu einer Entscheidung veranlasste.

Zeitzeuge Heinz Radtke (1925-2023) war von 1968 bis 1988 als Chief Superintendent der stellvertretende Einheitsführer der German Security Unit und zugleich Chef des Wachzuges. Er erinnerte sich gut an Jürgen Gensrich, den er früh förderte. "Als die Villa Lemm zu besetzen war, fanden wir mit ihm einen echten Vorzeigemann. Er war drahtig, autoritär, pflichtbewusst und sah in seiner Uniform wie gepellt aus. Einen besseren Mann konnten wir in dieser ersten Bewährungsphase nicht finden".


"Er wurde quasi über Nacht aus dem Wachdienst herausgelöst und mit Sonderaufgaben betraut. Er war, so glaube ich, auch einer der wenigen GSU-Leute, die es schafften Foreman zu werden, ohne Stabserfahrung zu besitzen und ohne den Dienst als Sektionsleiter vorweisen zu müssen", so Radtke.

Noch während der Amtszeit von Scott-Barrett (1973-1975) erhielt die German Service Unit den Auftrag des Objektschutzes für die Villa. Bis heute stellte sich diese neue Herausforderung als eine der größten Auszeichnungen der Briten dar.

Letztlich beinhaltete der Auftrag mehr, denn mindestens einmal jährlich residierten Angehörige der Königlichen Familie in der Villa und standen somit ebenfalls unter Schutz der GSU. Wann genau der »Tag X« vollzogen wurde, ist nicht mehr feststellbar, nur, dass der Wechsel von der Berliner Polizei auf die GSU schnell umgesetzt wurde.

Strittig war zunächst GSU-intern die Wachbesetzung des Objektes. Vorgesehen waren ursprünglich ein Foreman als Wachleiter, ein Chargehand als Stellvertreter und bis zu sechs Hundeführern. Zudem wurden Absprachen mit den deutschen Behörden getroffen, denn eine formale Bannmeile um die Villa gab es nicht, dennoch durften die GSU-Leute den Außenbereich bewaffnet bestreifen und auch Fahrzeugumsetzungen oder Personalienfeststellungen vornehmen, wenn es die britischen Interessen berührte.

Nahezu alle Wünsche der GSU wurden umgesetzt: Und vor allem waren die Angehörigen der deutschen Wach-Einheit bei Elise und David Scott-Barrett hoch angesehen.

Schließlich einigte sich die GSU-Führung darauf, den Posten des Guard Commanders mit einem Chargehand zu besetzen, um die Gleichstellung mit den Besetzungen der Hauptwachen aufzuzeigen. Für eine längere Übergangszeit wurde ein Chargehand gesucht, der die neue Wache »GOC Residence« im Tagesdienst zu führen hatte, um zugleich als ständiger Ansprechpartner vor Ort zu agieren.

Schließlich hatte man ihn auch schnell gefunden. Jürgen Gensrich wurde mit diesem Posten betraut und zum Chargehand befördert. Er erhielt zudem Mitspracherecht bei der Besetzung der Wachen, entwickelte das Objektschutzkonzept und hatte ein grundsätzliches Betretungsrecht für die Villa. Die Residenz wurde schnell zur Stammwache von Jürgen Gensrich.
GSU-Führungskräfte (v.r.n.l.): Ian Gilfellon, Jürgen Gensrich, Wolfgang Schiller und  Karl-Heinz Sander. (1989)

Wertvolle Stütze der GSU

Mit der Zeit entwickelten sich auch Freundschaften. Elise Scott-Barrett, die Frau des Stadtkommandanten, ließ es sich nicht nehmen, Gensrich regelmäßig über die Entwicklung ihres Gartens in der Villa persönlich zu informieren.

Eng verbunden war Gensrich vor allem mit Peter Kröhling, der als Koch in der Villa Lemm beschäftigt war. Mit ihm und seiner Familie traf er sich oft, feierte gemeinsam und unternahm Urlaube. Ingrid und Peter Kröhling, später auch die gemeinsame Tochter, reisten mit Gensrich auch nach Burggen, wo sie in der Pension Fichtl zu Stammgästen wurden. Peter Körhling, der im Bardeyweg, ganz in der Nähe der Villa Lemm wohnte, diente noch bis zum Abzug der Alliierten beim Stadtkommandanten. Robert Corbett, letzter Hausherr der Villa Lemm, erinnert sich: "Zu meiner Zeit war er bereits Service Senior Chief. Peter war ein absolut vertrauenswürdiger und herzlicher Mensch." 

Der ehemalige Chefkoch ist inzwischen verstorben und steht als Zeitzeuge nicht mehr zur Verfügung.
  • Verabschiedung Ursula Parrish (1980)

    Verabschiedung Ursula Parrish (1980)

    Button
  • Bildtitel

    Verabschiedung Ursula Parrish (1980)

    Button
  • Bildtitel

    Auszeichnung (Anfang 1980er Jahre)

    Button
  • Bildtitel

    Abschied Maurice Kent (1985)

    Button
  • Bildtitel

    Rekruten-Abnahme (1987)

    Button
  • Bildtitel

    Feier (1980er Jahre)

    Button
  • Bildtitel

    Einsatzbild (1980er Jahre)

    Button
  • Bildtitel

    Queens Birthday Parade (1988)

    Button
Mit seinem Co-Ausbilder Karl-Heinz Sander (1985)
Jürgen Gensrich war indes zu einer wertvollen Stütze der gesamten GSU gewachsen.

Doch nicht nur dienstlich war er angekommen, endlich hatte er auch ein neues Liebensglück gefunden. Ein Liebesglück, das ihn allerdings auch in eine damals prekäre Situation brachte:

Jürgen Gensrich verliebte sich in einen Mann, was nicht nur rechtlich kritisch, sondern auch für einen typischen Männerberuf schwierig war, doch vor allem losgelöst durch kulturelle Aktionen und orientiert an der 1968er Studentenbewegung, gab es in den 1970er Jahren auch die ersten fühlbaren Veränderungen in der Schwulen-Bewegung der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlins.

Insbesondere die erste Liberalisierung des damals noch existierenden Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, wonach homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt waren, ließ eine erste Lockerungen und ein freieres Leben für Betroffene erkennen. Dennoch: Homosexualität galt grundsätzlich noch immer als Straftat.

Auch die Angehörigen der damaligen German Service Unit, die 1982 in German Security Unit umbenannt wurde, bildeten nicht mehr und nicht weniger als ein Querschnitt der Gesellschaft. Homo- oder Bisexualität war selbstverständlich auch bei der GSU präsent, wenn auch nicht im Vordergrund stehend und zumeist hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen. Inzwischen sind zahlreiche homo- oder bisexuelle Männer der einstigen GSU bekannt. Alles Männer, die bis heute hoch angesehen und geschätzt werden. Sie alle haben einen vorbildlichen und wertvollen Dienst in der Einheit geleistet.

Jürgen Gensrich zog Ende der 1970er Jahre mit seinem Partner Bernd in die Spandauer Genfenbergstraße; es wird der letzte Wohnsitz des späteren GSU-Offiziers werden.

Seine Stammwache, die Villa Lemm, überlässt Gensrich etwa zur selben Zeit dem Regeldienst der Wachabteilung. Wolfgang Schiller befördert ihn schließlich zum Foreman und holt ihn als Ausbilder in den Stab.

Gemeinsam mit Werner Nowka, später mit Karl-Heinz Sander, bildet er über viele Jahre ein festes Ausbildergespann. Er erlangte durch sein autoritäres, aber stets faires Auftreten, den Ruf eines »Knochenbrechers mit Herz« und begleitet somit unzählige Wachleute bei ihren ersten Schritten in der GSU.

Der Foreman setzte aber auch wesentliche Akzente innerhalb der GSU. Die durch und durch britisch geprägte deutsche Wachpolizei-Einheit wechselte auf Bestreben Gensrichs Ende der 1970er Jahre ihr gesamtes Konzept der Formalausbildung auf das deutsche um. Künftig wurde nur noch nach deutschem Regelwerk exerziert und gegrüßt, eine Ausnahme bildeten lediglich mit den Briten gemeinsam aufgestellte Formationen. Wie Jürgen Gensrich diese Umstellung durchsetzen konnte, ist bis heute ein großes Rätsel.

Im Privaten lief es gut für den GSU-Mann. Mit Bernd reiste er viel und besuchte die Familie. Highlights für das Paar waren Skiurlaube in Bayern. Dennoch wird er viel gelitten haben, weil er seinen Partner verheimlichen musste. Die Zeit für eine Männerbeziehung war noch nicht da, auch und vor allem nicht in der GSU.

Trotz allem hat Gensrich von seiner Lebensfreude nichts eingebüßt. Zahlreiche Bilder von GSU-Feiern machen deutlich, wie sehr er lachen und fröhlich sein konnte. Seine Schwägerin Getrud schwärmt heute noch von ihm: „Er hatte so etwas vom jungen Hardy Krüger“, sagt sie.

Mitte der 1980er Jahre wird Gensrich zum Senior Foreman befördert, nachdem sein bisheriger Co-Ausbilder Karl-Heinz Sander Superintendent wurde. An seine Seite rückte Gerhard Zellmer nach, der ihm nunmehr zur Seite stand.

Darüber hinaus führte Gensrich hin und wieder Sondereinsätze, nahm an Trainingseinsätzen teil oder war in verantwortlicher Stellung bei der jährlichen »Queens Birthday Parade« auf dem Maifeld am Berliner Olympiastadion eingesetzt.

Schon als Senior Foreman war Jürgen Gensrich mit zahlreichen Sonderaufgaben betraut. 


Das Bild entstand 1988 auf dem Berliner Maifeld bei der jährlichen Queens-Birthday-Parade, an deren Sicherungsmaßnahmen die GSU beteiligt war.


Foto (v.l.n.r.): Jürgen Gensrich, eine Verwandte, Gisela Sander und Karl-Heinz Sander

Ende der 1980er Jahre wurde Gensrich zum Superintendent befördert und stieg somit in den Offiziersrang auf. Jetzt gehörte er zur obersten Führungsriege der Einheit. Seine Tätigkeit als Ausbilder war damit nach vielen Jahren vorbei.

Als 1989 die Berliner Mauer fällt, wird auch den vielen GSU-Leuten klar, dass es für die Einheit eng wird. Zukunftsängste machen sich breit. Jürgen Gensrich war einer der entscheidenden Protagonisten, der die Moral der GSU-Leute in dieser schwierigen Zeit immer aufrechthielt. Er versuchte, jede Form von Zukunftsangst zu nehmen.

Doch Jürgen Gensrich war inzwischen selbst von Ängsten gepackt. 1990 fühlte er körperliche Veränderungen und es dauerte, bis ihn Bernd schließlich überredete, einen Arzt aufzusuchen. Letztlich aber hatte ihn das Glück verlassen; der Besuch beim Arzt war zu spät. Mit der fatalen Diagnose Darmkrebs, kämpfte sich Gensrich weiter durchs Leben.

1992 stand eine Operation an. Inzwischen sichtlich abgemagert und schwer gezeichnet, meldet er sich bei der Dienststellenleitung ab und erklärt, die nächsten Tage wegen eines Eingriffes in ein Krankenhaus zu müssen. Ob er etwas Endgültiges geahnt hatte, oder nicht, bleibt offen.

Nur zwei Tage später, im Juni 1992, ist Jürgen Gensrich im Krankenhaus gestorben.

Als der Anruf die GSU erreichte, setzt eine Schockstarre ein. Sein Tod war für alle Kollegen unbegreiflich. Als wenige Wochen später die Beisetzung auf dem Friedhof In den Kisseln erfolgte, begleiten ihn zahlreiche Kameraden. Außerdem erfolgte an diesem Tag eine besondere, bis dahin noch nie dagewesene Ehrung: Die Fahne vor dem Kompanieblock wird auf Halbmast gesetzt, während Jürgen Gensrich bestattet wird.

Die Beisetzung wird vor allem für die angereiste Familie, allen voran die betagte Mutter, auch aus einem ganz anderen Grund, ein schwerer Gang: Am Grab ihres Sohnes erfährt sie, dass ihr Sonn mit einem Mann liiert war, dem sie erstmals begegnete. Es ist wohl ihrem Alter geschuldet, dass sie diesen Umstand nicht mehr richtig verarbeiten konnte.

Das Grab ihres Sohnes wird sie bis an ihr Lebensende nicht wieder aufsuchen, ebenso wenig wie den Kontakt zu Jürgens Lebensgefährten. Irene Gensrich stirbt nur zwei Jahre nach Jürgen. 2001 erliegt auch Jürgens Bruder Rainer einem Krebsleiden.

Bernd hält den Kontakt zur restlichen Familie noch viele Jahre aufrecht und besucht die Brüder von Jürgen noch regelmäßig. Jahre später lernt Bernd eine Frau kennen und heiratet sie.

Der Familie Gensrich gab Bernd sein Wort, sich um das Grab zu kümmern. Und tatsächlich wird er es pflegen und regelmäßig besuchen, wie auch die Familie Kröhling es tat.

Obwohl die Liegezeit im Juni 2012 nach 20 Jahren formal abläuft, bleibt das Grab noch bestehen und wird weiter von Bernd gepflegt. Letztlich wird es 2021 durch die Friedhofsverwaltung eingeebnet, eine Verlängerung war rechtlich nicht mehr möglich.

2022 jährte sich sein Tod zum dreißigsten Mal, 2024 wäre er 80 Jahre alt geworden. Das Grab von Jürgen Gensrich mag inzwischen verschwunden sein, doch in den Köpfen und den Herzen vieler Freunde und Kollegen bleibt der »Knochenbrecher« unvergessen.

Die inzwischen hoch betagte Familie hatte zugesagt, dem Zeitzeugen-Projekt Bildmaterial und persönliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht auch aus einem anderen Anlass, denn momentan laufen die Nachforschungen zum ehemaligen Lebensgefährten von Jürgen Gensrich auf Hochtouren. Auch die Familie möchte noch einmal Kontakt aufnehmen, um einfach nur "Danke" sagen zu können.

Jürgen Gensrich wurde nur 48 Jahre alt.
Ehemaliges Grab von Jürgen Gensrich
 "Macht bloß keinen Wind um mich"

Share by: