Robert Corbett

Robert Corbett

"Da wo Leben ist, da ist auch Hoffnung"
Corbett als Second Lieutenant (1959)

Zeitzeuge
ROBERT CORBETT
Ein Mann der Stunde

Das Schicksal wollte es, dass er als junger Offizier den Bau der Berliner Mauer miterlebte, genauso wie deren Fall, der sich fast drei Jahrzehnte später ereignete und ihn zu einem der großen Zeitzeugen des 20. Jahrhundert werden ließ.

Aber Robert Corbett hat eine Vielzahl wichtiger Stationen aufzuweisen und gehört zudem bis heute zu den nahezu unbemerkten Wegbereitern der Deutschen Einheit.

Als Historiker weltweit gefragt, als Freund und Zeitzeuge für das Projekt GSU HISTORY unersetzbar: Der Weg des pensionierten Generalmajors kann spannender kaum sein.

In diesem Projekt fließen vor allem seine Erfahrungen als junger Aufklärer im Berlin der 1960er Jahre und als Stadtkommandant ab 1989 mit ein.
In Hove, einer direkt am Ärmelkanal gelegenen englischen Kleinstadt, kommt Robert John Swan Corbett im Mai 1940, in den frühen Tagen des angelaufenen Zweiten Weltkriegs, zur Welt. Er entstammt einer anglo-irischen Familie und hat somit bis heute sowohl die britische, als auch die irische Staatsangehörigkeit. Sein Vater Robert Corbett (1907-1988) diente währen des Krieges als Captain im britischen Heer.

Nach Erreichen des ersten Schulgrads, wechselte Corbett 1953 an die 1552 gegründete Shrewsbury School in West Midlands, an der er 1958 sein Vorbereitungsstudium absolvierte. In Corbetts Familie hat diese Lehranstalt Tradition, bereits sein Großvater und auch sein Vater waren Absolventen der Shrewsbury School.

Noch im selben Jahr trat er 18-jährig in den Militärdienst ein und absolvierte die Offiziersschule in Aldershot. Im Anschluss wurde er, einer Familientradition folgend, Angehöriger der Irish Guards, eines der fünf Königlichen Leibregimenter. Nach Abschluss seiner Ausbildung wurde er erstmals als Zugführer eingesetzt.

Während des Kalten Krieges führte Corbett als junger Lieutenant ab 1961 eine Aufklärungseinheit und wurde in dieser Eigenschaft erstmals zur Rheinarmee nach Berlin versetzt - jener Stadt, die er Jahrzehnte später als seine zweite Heimat bezeichnen wird. Kurz nach dem Bau der Berliner Mauer sollte er mit seiner Einheit Berlin mit einem Versorgungszug über die Transitstrecke erreichen. Hierbei ereignete sich eine Konfrontation mit DDR-Transportpolizisten, die grundlos versuchten, einen der Soldaten aus Corbetts Gruppe festzunehmen, was beinahe zum Schusswaffengebrauch führte. Letztlich gelang es Corbett mit seinen Männern, die Stadt zu erreichen, wenn auch mit einer 14-stündigen Verspätung.

Wie üblich für jeden Soldaten, der erstmals in Berlin eingesetzt wurde, gehörte für Corbett ein Besuch des ausgebrannten Reichstagsgebäudes zum Pflichtprogramm. Den Anblick des fast zerstörten Gebäudes wird der Offizier sein Leben lang nicht vergessen.

Sieben weitere Jahre war Corbett Angehöriger einer Luftlandeeinheit und wurde in Frankreich, Zypern, Kenia, Hongkong, Gibraltar, Norwegen, Nordirland, am Persischen Golf, in Belgien, Kanada, im Oman und in den USA eingesetzt. 1962 wurde Corbett zum Captain, 1968 schließlich zum Major befördert.

Inmitten dieser Zeit war er vorübergehend seinem Regimentskommandeur, Brigadier Michael O`Cock, als Adjutant zugeordnet. Bei einer Gelegenheit begegnet er dessen Tochter Susan und verliebt sich. 1966 heiratet das Paar.

Generalmajor a.D. Sir Robert Corbett (Jahrgang 1940) war stellvertretender Oberbefehlshaber und Stabschef der Britischen Streitkräfte während der Aufklärungsphase des Falklandkrieges und von 1989 bis 1990 der 21. und letzte Kommandant des Britischen Sektors in Berlin. Als solcher erlebte er den Fall der Berliner Mauer sowie die Deutsche Einheit, die er als Berater von Premierministerin Margaret Thatcher selbst mit begleitete.


Das Schicksal wollte es, dass Corbett zu wichtigen Ereignissen, als Stadtkommandant jeweils den Vorsitz der Alliierten Kommandantur innehatte, insbesondere bei der Übertragung der Stadtverwaltung an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper im November 1990. Sein letztes Kommando hatte er als Kommandeur des London District. 1994, kurz vor Eintritt in den Ruhestand, erhob ihn Königin Elisabeth II in den Adelsstand.


Corbett ist Buchautor, Historiker und unterstützt GSU HISTORY aktiv als Zeitzeuge.

Captain Robert Corbett (1963)

Auf dem Weg nach oben

Robert Corbett absolvierte in den nachfolgenden Jahren Studiengänge am Royal Military College of Science, am Army Staff College und später auch am United States Armed Forces Staff College in Norfolk (1980).

Nach seiner Beförderung zum Lieutenant Colonel schloss sich 1980 eine Verwendung als Stabsoffizier an, ehe er 1981 als Bataillonskommandeur in die 4. Panzerbrigade zur Rheinarmee nach Deutschland zurückkehrte.

1984 wurde Robert Corbett zum Colonel befördert und während der Aufklärungsphase des Falkland-Krieges Stabschef und zugleich stellvertretender Befehlshaber der britischen Truppen.

Ein Jahr später wurde ihm, unter gleichzeitiger Beförderung zum Brigadier, das Kommando über die 5. Luftlandebrigade übertragen.

1987 schloss sich eine zweijährige Verwendung im britischen Verteidigungsministerium in London an.
Noch heute blickt Corbett begeistert auf seine soldatische Laufbahn zurück: Das Fallschirmspringen. Zu seinen vielen Kommandos zählte nämlich auch die Führung der The Guards Independent Parachute Company, einer britischen Luftlandeeinheit der Wachregimenter ihrer Majestät.

Wann immer er es konnte, nutzte er die Gelegenheit für Sprünge - nicht nur im Kriegseinsatz. Seine zahlreichen Nachweise über die unzähligen "Ausstiege", bewahrt er im heimischen Anwesen in Südengland akribisch auf.

Auch wenn sich seine Vita fast reibungslos liest, so hat sích der anglo-irische Offizier (Foto: Brigadier Corbett 1985 im Mittleren Osten) nahezu jeden Posten hart erkämpft - oft auch im übertragenen Sinne. 


So wurde er bei einer Verwendung in einer französischen Fallschirmspringereinheit schwer verwundet. Bei den Franzosen diente er bereits frührer als junger Offizier nach einer Spezial-Ausbildung bei einer Alpinen-Einheit. 


Mit seiner Versetzung an das Verteidigungsministerium nach London 1987, endete für Corbett zunächst sein militärisches Abenteuer. Zwei Jahre war er in einer Haushalts-Abteilung tätig. Ein Bürojob, bei dem es sich nicht um seine Lieblingsaufgabe handelte.

Generalmajor Robert Corbett  als Stadtkommandant (1989)

Stadtkommandant in Berlin

Im Januar 1989 wurde Robert Corbett zum Generalmajor befördert und, als Nachfolger von Patrick Brooking, neuer Kommandant des Britischen Sektors von Berlin.

Später wird Corbett bei seinem Abschied äußern, dass dieser Posten seine größte dienstliche Herausforderung war. "Eine Aufgabe, die mich nicht nur als Soldat forderte, sondern mich auch zum Diplomaten werden ließ und in der ich manchmals auch Politiker war".

Als er seinen Posten antrat, konnte niemand ahnen, dass er der letzte Offizier sein wird, der als Kommandant des Britischen Sektors nach Berlin entsandt wurde. Und noch etwas spielte zufällig zusammen: Sein Vorgänger Patrick Brooking war für ihn kein Unbekannter, sondern ein ehemaliger Schulkamerad - eine Begebenheit, die es so wahrscheinlich nirgends anders geben konnte, als in Berlin.

Und noch etwas war für ihn neu und außergewöhnlich: Das Berliner Kommando ließ ihn zu einem Teil eines Gremiums werden, einer engen vereinigten, alliierten militärischen Instanz.
Denn neben dem US-Amerikaner Generalmajor Raymond Haddock und dem französischen Divisionsgeneral François Cann, war er somit einer der drei west-alliierten Stadtkommandanten der geteilten Stadt, welche als Trio die Alliierte Kommandantur bildeten. Diese stellte nach dem Zweiten Weltkrieg die höchste gesetzliche und politische Instanz für Groß-Berlin dar und war dem Alliierten Kontrollrat unterstellt.

Als Stadtkommandant übernahm Corbett einen der wichtigsten und möglicherweise brisantesten Posten, den das britische Militär außerhalb Großbritanniens zu vergeben hatte. Als solcher war er zum einen militärischer, aber vor allem „politischer Führer“ seines Landes und übte eine Art Vertretereigenschaft für Königin Elisabeth II. aus, da Berlin formal nicht zum Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland gehörte und Großbritanniens in Bonn residierender Botschafter geografisch, bzw. örtlich unzuständig war. Formal unterstellt war er dem britischen Oberbefehslhaber für Deutschland sowie dem Botschafter.

Wie seine Vorgänger konzentrierte sich Corbett als Stadtkommandant auf die benötigte politische und diplomatische Vertretung seines Landes und seine Aufgaben als Mitglied der Alliierten Kommandantur.

Brigadier Richard Oliver, Kommandeur der Berlin Brigade, wachte über die Garnison, deren Ausbildungsstand und übte die Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten und deren Familien aus. Vor allem war er aber für das "militärische Tagesgeschäft" der Britischen Streitkräfte in der Vier-Sektoren-Stadt verantwortlich.

Auch in ganz anderer Hinsicht, birgt das neue Amt eine neue Erfahrung für den 2-Sterne-General: Erstmals in seiner militärischen Laufbahn, untersteht sein Wohnsitz einem permanenten Schutz. In Ergänzung seines Personenschutzes unterstand die idyllische, im Ortsteil Gatow gelegene Villa Lemm, 24 Stunden am Tag dem Schutz der 248 German Security Unit, einer deutschen Kompanie der britischen Militärpolizei RMP.
Corbett mit der Herzogin von York auf dem Maifeld (Mai 1989)
Zudem muss sich Corbett fortan auch als Gastgeber der Königlichen Familie behaupten, die während ihrer Berlin-Aufenthalte die Villa Lemm als Residenz nutzen.

Der Funktion des Gastgebers gegenüber der Königsfamilie kam ein britischer Stadtkommandant mindestens einmal pro Jahr nach, wenn die Abnahme der Königlichen Geburtstagsparade („Queens Birthday Parade“) auf dem Berliner Maifeld am Olympiastadion anstand.

So empfing Corbett im Mai 1989 die Herzogin von York und Prinzessin Alexandra im Juni 1990.
Robert Corbett trat sein neues Amt inmitten einer Ära der Veränderungen Berlins an. Die Stadt blühte zum einen als Kulturmetropole auf, zum anderen war sie durch stete Unruhen und Hausbesetzungen in die Schlagzeilen gelangt. Das Verhältnis zu dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) war nicht immer konfliktfrei, der bereits zuzeiten Patrick Brookings immer mehr Eingaben und Forderungen an die Alliierte Kommandantur richtete.

Diese hatte erst wenige Jahre zuvor Diepgens Antrag auf Genehmigung eines Hubschraubers für die Berliner Polizei abgelehnt, da die Alliierten ihre Lufthoheit nicht weiter abtreten wollten. Einzige Ausnahme blieb zunächst der neue Rettungshubschrauber, der durch den ADAC gestellt wurde und mit Sonderauflagen in den West-Sektoren der Stadt fliegen durfte.

Nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Januar 1989 verlor die CDU ihre Mehrheit, infolge dessen der SPD-Politiker Walter Momper eine Koalition aus SPD und Alternativer Liste bilden konnte. Am 16. März wurde Momper zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt.

Die Amtszeit Corbetts stand nicht immer unter einem guten Stern. Im Sommer 1989 versuchte ein junges Paar, darunter eine schwangere Frau, von der Ostseite Berlins in den Westteil zu schwimmen. Der Frau war es jedoch nicht möglich, die Böschung hinaufzuklettern und wurde durch einen Angehörigen der Grenztruppen der DDR, der den Raum mit einem Boot bestreifte, entdeckt. Dieser versuchte zunächst, die junge Frau mit seinem Wasserfahrzeug zu rammen. Eine Streife der britischen Militärpolizei eilte der Frau zu Hilfe und zog sie vollkommen erschöpft aus dem Wasser, während der Mann selbstständig an das Westufer gelangte.

Als eine erste Reaktion auf diesen und andere Vorfälle, ließ Corbett Seile an den Böschungen der Spree anbringen, um Flüchtenden eine Hilfestellung zu geben. Das Vorgehen war eng mit dem britischen Botschafter in Bonn, Christopher Mallaby, sowie dem Commander in Chief der Rheinarmee abgestimmt. Eine von der Gegenseite erwartete Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Prompt forderte die sowjetische Seite Corbett an, die Seile wieder zu entfernen, was jedoch ignoriert wurde.

Robert Corbett hielt sich regelmäßig im Ostteil Berlins auf und nahm an der Abschiedsmesse von Joachim Kardinal Meisner am 4. Februar 1989 in der St.-Hedwigs-Kathedrale teil. Meisner war zuvor von Papst Johannes Paul II. zum neuen Erzbischof von Köln ernannt worden. Beim Verlassen der Kirche wurden Corbett und seine Frau Susan unter den Augen des Staatssicherheitsdienstes von fast 2000 Menschen umringt, die ihnen Briefe zusteckten und um Hilfe baten.

Während seiner Zeit als Stadtkommandant waren die Britischen Streitkräfte weltweit Anschlägen der sogenannten Irisch-Republikanische Armee ausgesetzt. Corbett und seine Familie wurden daher unter ganz besondere Schutzmaßnahmen gestellt. Dennoch: Vor allem für Susan Corbett und die drei Söhne stellte dieser Umstand eine besondere Herausforderung dar.
Antrittsbesuch von Robert Corbett im US-Hauptquartier (1989)

Die Nacht der Nächte: Nach 28 Jahren fällt die Berliner Mauer

Am Abend des 9. November 1989 war Robert Corbett Gast des Regisseurs und Medienunternehmers Ulrich Schamoni, der seinen 50. Geburtstag feierte.

Zeitgleich hielt der DDR-Sekretär für Informationswesen, Günter Schabowski, in Ost-Berlin eine Pressekonferenz zur geplanten Reiseerleichterung für DDR-Bürger ab, in der versehentlich die sofortige Ausreisemöglichkeit für DDR-Bürger bekannt gab.
Von den Ereignissen vollkommen überrascht, wurde Corbett über das Autotelefon durch seinen Stellvertreter, den Minister der Britischen Militärregierung in Berlin, Michael St. Edmund Burton, in Kenntnis gesetzt. In seinen Erinnerungen schildert Corbett, er habe als erstes durch Burton erfahren, dass „die Schlagbäume oben wären und die Menschen ungehindert von Ost nach West gelangen könnten“. Der Generalmajor berief daraufhin seinen Stab im Hauptquartier zusammen und begab sich unverzüglich mit seinen Mitarbeitern zum Sitz der Alliierten Kommandantur im Berliner Bezirk Zehlendorf.

Im November 1989 hatten sich zudem wirtschaftliche Spannungen in den südlichen Industriestädten der DDR zugespitzt, weshalb die West-Alliierten entsprechende Notfallpläne ausgearbeitet hatten. Sie gingen davon aus, dass DDR-Bürger auch unter Beschuss versuchen könnten, in den West zu fliehen. Mit seinen Kommandanten-Kollegen Haddock und Cann beschloss Corbett zunächst, der Berliner Polizei anzuordnen, sich unmittelbar an den Markierungsstreifen der Berliner Mauer zu postieren, um vor allem das Verhalten der West-Berliner Bevölkerung besser kontrollieren und einschätzen zu können.

Nach den ersten Entscheidungen informierte Corbett den Regierenden Bürgermeister Walter Momper und begab sich unmittelbar zu verschiedenen innerstädtischen Übergangsstellen, um sich ein eigenes Bild machen zu können. Hierbei traf er sich mit Momper, um die neue Lage zu bewerten. Diese ungeplanten Begegnungen standen zunächst unter einem großen Vorbehalt gegenüber Momper, als dem ersten Berliner Regierungschef eines rot-grünen Senats. Rückblickend äußerte sich Corbett wiederholt dahingehend, dass er auf einen „sehr ruhigen, gefassten und besonnenen Bürgermeister“ traf.

Als eine der ersten wesentlichen Entscheidungen der Alliierten Kommandantur, ordnete Corbett über Momper an, die Freiwillige Polizei-Reserve zu mobilisieren, die 1961 als Reaktion auf die in der DDR aufgestellten Betriebskampfgruppen, in Berlin (West) formiert wurde. Diesen alliierten Befehl leitete Momper sodann an Innensenator Erich Pätzold weiter. Ohnehin waren im Falle eines Ausnahmezustands die Kräfte der Berliner Polizei, einschließlich der Freiwilligen Polizei-Reserve, in die Stärke der alliierten Brigaden des jeweiligen Sektors mit einberechnet worden. Darin begründet war, dass Berliner Polizeibeamte noch bis Vollendung der Deutschen Einheit an Kriegswaffen ausgebildet wurden.

Corbett begab sich im Anschluss zum Brandenburger Tor, vor dem sich inzwischen tausende von Menschen versammelten. In den frühen Morgenstunden des 10. November ließ sich Corbett zum Sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni in Berlin-Tiergarten fahren, das sich, wie auch das Brandenburger Tor, im Britischen Sektor befand.

Eine Regelung des Viermächtestatusses schrieb fest, dass das Ehrenmal, das an die mehr als 80.000 Rotarmisten erinnert, die während des Kampfes um Berlin gefallen sind, durch sowjetische Soldaten bewacht wurde. Corbett befürchtete mögliche Ausschreitungen gegen die Wachsoldaten, die als sowjetische Armeeangehörige in der breiten DDR-Bevölkerung immer unbeliebter wurden. Bereits 19 Jahre zuvor, am 7. November 1970, gab es an derselben Stelle einen Übergriff, als der Krankenpfleger Ekkehard Weil zwei Schüsse auf einen sowjetischen Soldaten abgab und diesen schwer verletzte.

Der Generalmajor kontaktierte noch während der Anfahrt den West-Berliner Polizeipräsidenten Georg Schertz und ordnete an, eine Einheit der Bereitschaftspolizei für den Schutz der Soldaten und des weiträumigen Grundstücks abzustellen. Im Anschluss befahl er dem Regimentskommandeur der britischen Militärpolizei RMP, Lieutenant Colonel Ronald Tilston, unverzüglich Kräfte zum Ehrenmal zu entsenden und den Schutz bis zum Eintreffen der Berliner Polizei zu gewährleisten.

Erstmals in der Geschichte des Kalten Krieges, begab sich mit Robert Corbett ein britischer Stadtkommandant ohne Ankündigung zum Sowjetischen Ehrenmal. In seinen Erinnerungen hielt Corbett fest, dass er zunächst durch einen jungen Soldaten und durch dessen vorgesetzten Offizier, einen sowjetischen Hauptmann, salutierend begrüßt und in die Haupthalle des Ehrenmals gebeten wurde.

Corbett erklärte den Sowjetsoldaten die gegenwärtige Lage ausführlich und wies darauf hin, dass Vorkehrungen für deren Schutz durch die britischen und deutschen Stellen getroffen wurden. Es ist überliefert, dass die jungen Soldaten, bevor der britische Stadtkommandant die Halle verließ, mit präsentiertem Gewehr in zwei Reihen antraten, um den General würdevoll und mit Respekt zu verabschieden.

Nachdem Corbett wieder im Britischen Hauptquartier am Berliner Olympiastadion eintraf, ereilte ihn die dringende Meldung des Leiters der Britischen Militärmission, Brigadier Ian Freer, dass für den Stadtkommandanten eine persönliche und namentliche Nachricht der Sowjets vorliegen würde. Diese sei über eine Verbindung übermittelt worden, die seit dem Abzug des sowjetischen Stadtkommandanten Alexander Kotikow und der Berlin-Blockade im Juni 1948 nicht mehr genutzt wurde.

Als Robert Corbett sein Büro betrat, fand er einen Umschlag mit zwei in englischer Sprache verfassten Sätzen vor. „Danke für das, was Sie getan haben. Es wird nicht vergessen.“ Bei dem Absender handelte es sich um den sowjetischen Armeegeneral Boris Snetkow, den Oberkommandieren der Westgruppe der Truppen.
1990: US-Stadtkommandant Haddock, Walter Momper (Regierender Bürgermeister von Berlin), Corbett, Altbundeskanzler Willy Brandt, Frankreichs Stadtkommandant Cann (v.l.n.r.) Foto: Paul Glaser

Corbett und die Deutsche Einheit

Das diplomatische Geschick Corbetts wird auch dadurch deutlich, dass man ihn in der Rolle des Beraters kaum wahrgenommen hat.

Tatsächlich hat er aber einen großen Anteil am Prozess der Deutschen Einheit, den er von Beginn an eng begleitet hat. So beriet er im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen Premierministerin Margaret Thatcher und Außenminister Douglas Hurd in Berlin-Fragen.
Hierbei nahm er eine wichtige diplomatische Rolle ein und traf in dieser Funktion mit den wichtigsten Politikern der Bundesrepublik Deutschland zusammen, insbesondere jenen, die einen unmittelbaren Bezug zu Berlin hatten. Zu ihnen gehörten Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Altbundeskanzler Willy Brandt, der zuzeiten des Mauerbaus Regierender Bürgermeister von Berlin war.

Ausländische Politiker gehörten ebenso zu seinen Gesprächspartnern, darunter die Außenminister James Baker (USA), Roland Dumas (Frankreich) und Eduard Schewardnadse (Sowjetunion). Mit Hurd traf er zudem am 16. November 1989 während dessen Berlin-Besuches zusammen. Corbett gehörte ebenfalls zu den Beratern, als sich am 11. Dezember 1989 die Botschafter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion in West-Berlin trafen.

Das Hauptaugenmerk der Alliierten Kommandantur Berlin bestand jedoch vor allem darin, die Stadthoheit in geeigneter Form an den Berliner Senat zu übertragen und zeitgleich einen geordneten Plan für die noch verbleibenden Kontingente der alliierten Brigaden in Berlin zu schaffen. Dazu gehörten die Rückführung militärischen Inventars, aber auch die Auflösungsmaßnahmen von Kasernen und Liegenschaften sowie die beginnenden arbeitsrechtlichen Maßnahmen der zahlreichen Zivilbeschäftigten.

Für eine breite Öffentlichkeit sichtbar, war der Rückbau des Kontrollhäuschens am bisherigen Alliierten-Kontrollpunkt an der Kochstraße. Robert Corbett hielt, in seiner Eigenschaft als turnusmäßiger Vorsitzender der Alliierten Kommandantur, die Rede aus Anlass der Demontage der Sicherungsanlagen des umgangssprachlich bekannten Checkpoints Charlie. An der Zeremonie nahmen auch die beiden Stadtkommandanten Raymond Haddock (USA) und François Cann (Frankreich) sowie die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion sowie Hans-Dietrich Genscher (Bundesrepublik Deutschland) und Markus Meckel (DDR) teil.
Die Stadtkommandanten Haddock, Corbett und Cann (v.l.n.r.) bei der Schließung des Checkpoint Bravo (1990)
Am 2. Oktober 1990, dem Vortag der offiziellen deutschen Wiedervereinigung, wurden die  Stadtkommandanten durch den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin verabschiedet.

Wieder turnusgemäß, wurde Robert Corbett die Ehre zuteil, die Abschiedsrede der Stadtkommandanten vor dem Parlament zu halten. Diese gilt bis heute als eine der bedeutendsten mit Bezug auf das Ende des Kalten Krieges, nicht nur deshalb, weil sie von Corbett in deutscher Sprache gehalten wurde.
In seiner Rede bezog sich Corbett auf ein Zitat des ehemaligen britischen Premierministers Winston Churchill aus der frühen Nachkriegszeit, in dem er erklärte, „Die Teilung Deutschlands ist eine Tragödie, die keinen Bestand haben wird“. Corbett erklärte darauf anspielend vor dem Berliner Abgeordnetenhaus: „Aber die Tragödie ist nun vorbei, die Tragödie ist nun vorbei!“. Von Zeitzeugen oft geschildert wird jene Situation, als der in der ersten Reihe sitzende frühere Regierende Bürgermeister Willy Brandt Corbett anstrahlte, während ihm vor Rührung die Tränen über das Gesicht liefen.

Im Anschluss überreichte Corbett dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper einen mehrseitigen Brief, mit dem die Stadthoheit symbolisch wieder auf die legitimierte Landesregierung übertragen wurde. Danach trugen sich Corbett und die beiden anderen Stadtkommandanten in das Goldene Buch von Berlin ein und wurden durch Momper und dem Parlamentspräsidenten Jürgen Wohlrabe mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet.

Am Abend war Corbett Ehrengast von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und nahm an den offiziellen Feierlichkeiten aus Anlass der Deutschen Einheit teil. Am Festakt am Reichstagsgebäude in der Nacht zum 3. Oktober war Corbett zugegen.

Zuvor wurde er bereits an der Villa Lemm, seines bisherigen Wohnsitzes, durch die Angehörigen der 248 German Security Unit verabschiedet. Die Amtszeit der Stadtkommandanten endete am 2. Oktober 1990 um 24:00 Uhr. Wenige Tage später verließen Corbett und seine Familie Berlin über den Militärflughafen Gatow, wo er durch eine Ehrenwache verabschiedet wurde. Das noch bis 1994 bestehende britische Kontingent wurde fortan durch den Brigadekommandeur befehligt.
Generalmajor Corbett als Kommandeur des London District (1994)

Das letzte Kommando und der Weg zum Ritter

Im Januar 1991 zeichnete ihn Königin Elisabeth II. mit der Ordensstufe „Companion“ des Verdienstordens Order of the Bath aus.

Nach seiner Berliner Zeit wurde Robert Corbett 1991 nach London versetzt, wo er den Posten des Kommandierenden Generals über den London District sowie die Household Division übernahm, die, im steten Wechsel der beteiligten Regimenter, die Leib- und Hausgarde von Königin Elisabeth II. stellen.

Im selben Jahr wurde er in den Beirat der Deutschen Bank Berlin gewählt, ein Amt, das ihm die Möglichkeit bot, regelmäßig nach Berlin zurückzukehren.

Beiratsmitglied blieb er noch bis zum Jahr 2000.
Von 1993 bis 2000 war er zudem Ehrenoberst des irischen Infanterie-Regiments The Irish Rifles (Armee Reserve). Kurz vor seinem Eintritt in den Ruhestand, im Juni 1994, ehrte ihn Königin Elisabeth II. mit einer der höchsten Auszeichnungen des Landes und erhob ihn als Knight Commander des Royal Victorian Order in den Adelsstand.

Er führt seither den Namenszusatz „Sir“. Im August 1994 trat Corbett schließlich nach 35 Dienstjahren als Generalmajor in den Ruhestand.
Sir Robert Corbett im Juli 2016

Im Unruhestand: Die Energie des Offiziers

Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst widmete sich Corbett, einer alten Tradition für Offiziere im Generalsrang folgend, einem wohltätigen Zweck. Er übernahm von 1994 bis 2004 den Vorsitz der Organisation The Dulverton Trust, die sich für die Belange benachteiligter Jugendlicher einsetzt und deren qualifizierte Förderung und Ausbildung unterstützt.

Zeitgleich betätigte er sich als Historiker, insbesondere im Zusammenhang mit der Aufarbeitung seiner Erlebnisse als Stadtkommandant in Berlin. Die erste Auflage seines 1991 erschienenen Buches Berlin and the British Ally 1945–1990 war schnell vergriffen.

Zudem hält er als Zeitzeuge weltweit, vornehmlich in den Staaten des Commonwealth, Vorträge und ist bis heute ein gefragter Interviewpartner. Corbett weist stets darauf hin, dass es für ihn ein außergewöhnlicher Zufall war, den Bau und die Zerstörung der Berliner Mauer miterlebt zu haben. Er sei „voller Dankbarkeit für die Freundschaft und die Disziplin der Berliner Bevölkerung“, erklärte er in einer Rede im Oktober 2015.
Seine alte Wirkungsstätte besucht Robert Corbett regelmäßig. So hielt er sich 2010, gemeinsam mit seinen beiden ehemaligen Stadtkommandanten-Kollegen Raymond Haddock und François Cann, auf Einladung des AlliiertenMuseums in Berlin auf. Letztmalig war er im Juli 2016 in der Stadt.

Seit Februar 2019 unterstützt Corbett das Projekt GSU History als Zeitzeuge. Zudem engagiert er sich seit 1964 auch als Mitglied der Londoner 2-Livery Guild Company  Worshipful Company of Vintners.

Susan und Robert Corbett leben seit 1994 nahe einer südenglischen Kleinstadt. Sie sind inzwischen vierfache Großeltern.

Seit dem dem Tod von Bernard Gordon Lennox im Dezember 2017 ist Robert Corbett, der im In- und Ausland mehrfach mit Orden und Ehrungen ausgezeichnet wurde, der einzige noch lebende ehemalige britische Stadtkommandant. Er spricht neben seiner Muttersprache zudem auch heute noch fließend Französisch und Deutsch.

Mit Stolz weist er gelegentlich darauf hin, seine Position als Ehrenoberst mit einbezogen, seinem Land fast 50 Jahre in Uniform gedient zu haben.

Im Mai 2020 feierte der pensionierte 2-Sterne-General seinen 80. Geburtstag.
Sir Robert J. S. Corbett
"Da wo Leben ist, da ist auch Hoffnung"

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