Für Schiller war das Jahr 1968 auch deswegen nicht unwichtig, weil es eine große Pensionierungswelle gab. Nahezu alle wichtigen Führungsoffiziere verließen die Einheit. Andere wiederum mussten – bis in den Bereich der Unteroffiziere – mit Rückstufungen rechnen, da es einen Wehmutstropfen mit Aufstellung der neuen German Service Unit gab: Das bisherige Zugmodell wurde aufgehoben, welches schließlich zur Bildung von Sektionen führte. Diese wurden nicht mehr von Superintendenten als Zugführer geleitet, sondern von Unteroffizieren im Range eines Foreman geführt, die zugleich die Funktion des Diensthabenden vom Wachdienst übernahmen. Zahlreiche Offiziere wurden somit überflüssig.
Und noch was änderte sich: Mit dem neuen Namen kamen neue Ärmelabzeichen und Ränge, die eine erkennbare Security-Guard-Laufbahn aufwiesen. Selbst der hohe Rang des Chief Superintendent, der als Kompaniechef oder Stabsoffizier fungierte, wurde auf eine einzige Planstelle reduziert – die des stellvertretenden Einheitsführers, der zugleich Chef des Wachabteilung war. Die gesamte Organisationsstruktur wurde umgekrempelt.
Zudem verlor die Einheit nach 1952 weitere ihrer Gebäude in der Spandauer Standortkaserne Smuts Barracks, womit sich das Hauptgeschehen auf den Kitchener Block, den meisten Ex-Guards heute eher noch schlicht als „Block 34“ bekannt, fokussierte. Ob Wolfgang Schiller zielgerichtet auf die Zusammenstellung seiner Führungscrew nehmen konnte, ist nicht überliefert aber wahrscheinlich. Da mit dem Weggang Gohls auch sein Vize, Chief Superintendent Hans Horn, nach einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht seinen Abschied nahm, war auch dessen Stelle vakant.
Superintendent
Heinz Radtke, der den Vertreterposten bereits kommissarisch übernommen hatte, blieb in dieser Verwendung und wurde ein Jahr später offiziell berufen – unter gleichzeitiger Beförderung zum Chief Superintendent. Auch alle übrigen Führungspositionen wurden neu besetzt. Schiller selbst, noch im Range eines Superintendent stehend, wurde am 1. Januar 1969 ebenfalls zum Chief Superintendent und schließlich am 1. September desselben Jahres, zum Staff Superintendent – und somit in das höchste Spitzenamt befördert.
Wie auch einst
Johannes Gohl
als der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle gesetzt schien, so galt dies auch für Wolfgang Schiller, als dieser das Kommando übernahm. Der neue Einheitsführer war weniger Offizier als Gohl, doch weitaus mehr ein Mann der Zukunft. Sein Wirken war strukturiert und kompetent, vor allem taktisch auf die Außendarstellung der GSU ausgerichtet. Auch wenn er weniger militärisch und mehr zivil agierte, so verfolgte Schiller Pläne, die sich auszahlen sollten.
Ein wesentliches Augenmerk richtete er als ehemaliger „Dog Handler“ auf die Diensthundestaffel, die unter seiner Ägide auf 30 Tiere aufgestockt und zunehmend zu einem Aushängeschild der Einheit wurde. Und tatsächlich war die Vierbeinertruppe anerkannt und gefürchtet. Zudem holten die Hundeführer mit ihren Schnüffelnasen zahlreiche Auszeichnungen bei internationalen Vergleichswettkämpfen – sehr zum Gefallen Wolfgang Schillers.
Das seitens der Militärregierung gesetzte Vertrauen in den neuen Einheitsführer war elementar – aber auch Anspruch und Vorgabe, Turbolenzen künftig zu verhindern. Eine große Aufgabe Schillers, die er auch relativ lange problemlos umsetzen konnte. Die Briten bauten auch weiterhin auf eine vorzeigbare Einheit, die bereits Akzente setzte und sich schon damals wesentlich von der US-amerikanischen Schwestereinheit, der später in 6941st Guard Battalion umbenannten Truppe, abhob.
Doch Schiller hatte auch mit Kontrollmechanismen zu kämpfen. So wurde der Tatbestand der „Disziplinlosigkeit“ neu in den Katalog der Disziplinarmaßnahmen aufgenommen und zudem musste er über sich ergehen lassen, dass die Stelle eines britischen Verbindungsoffiziers eingerichtet wurde, der sein Büro im Block 34 bezog – und somit „Tür an Tür“ mit dem Staff Superintendent saß. Auch wenn es sich bei diesem Verbindungsoffizier tatsächlich nur um einen Unteroffizier handelte, der gegenüber Schiller auch nicht weisungsberechtigt war, so ahnte und fühlte er dessen eigentlichen Kontrollauftrag.
Doch wer davon ausging, dass Schiller mit dieser Situation nicht umgehen konnte, sollte enttäuscht werden. Der erste Verbindungsoffizier, Terry Clift, war ein höflicher und freundlicher Militärpolizist, der sich mit der neuen Führungscrew Schiller/Radtke hervorragend verstand. Mehr noch: Wolfgang Schiller wuchs über sich hinaus und mauserte sich zu einem taktisch klugen Vermittler, Verhandlungsgenie und anerkannten Verwaltungsmenschen. In diesem Fall war es sogar von klarem Vorteil, dass das Spitzenamt nunmehr nicht durch einen kampferfahrenen Haudegen, sondern von einem besonnenen „Einsatz- und Personalmanager“ besetzt war.
Ob nun bewusst oder nicht: Wolfgang Schiller hatte es geschafft, in der German Service Unit mit dem neuen Jahrzehnt auch eine andere und moderne Zeitphase einzuläuten, die auch durchaus notwendig war. Er raufte er sich auch mit den Betriebsratsvertretern zusammen. Es war dem Staff Superintendent wichtig, entscheidende Verbesserungen für seine Beschäftigten zu erreichen und deren Motivation und innere Identität zur Truppe zu stärken – ohne einen überzogenen Chorgeist seiner Männer zu entfachen, die sich noch immer nicht gewerkschaftlich organisieren durften. Schließlich konnten beide Vertragspartner, Betriebsrat und Einheitsführung, optimierte Dienstplan- und Ausbildungsmodelle auf den Weg bringen, was zu einer sehr hohen Akzeptanz in der Truppe führte.